Gangpferde sind eine besonders spannende Herausforderung für den Reiter. Im Vergleich zum Trab liegt den Viertaktgangarten ein aufwendigeres Bewegungsmuster zugrunde: Es wird durch schnellere
Frequenz, erhöhte Körperspannung und vermehrte Aufrichtung realisiert. Um in den Genuß dieser bequemen und lebensfrohen Gangart zu kommen, brauchen daher sowohl das Gangpferd als auch sein Reiter ein
ausgesprochen differenziertes Gefühl für Rhythmus und Körperspannungen, um den
Viertakt harmonisch und gesundheitsschonend zu reiten.
Ob in Pasollano, Marcha, Singlefoot oder Tölt: jedes Pferd wird entsprechend seiner individuellen Gangveranlagung gefördert. Wie jede andere Gangart auch, wird der Viertakt ganz klassisch in das
Ausbildungssystem eingebunden und entfaltet mit zunehmender Koordination und Kraft seine ganze Faszination.
Wer in seinem Leben noch nicht getöltet ist, wird sich sicher fragen, ob man nicht auch gut ohne diesen Gang leben könnte. Könnte man! Zweifellos! Ein schöner, gesetzter Trab, eine Passage, ein
flotter Galopp oder gar eine gelungene Galopp-Pirouette können dem Reiter ebenso viel Freude machen. Aber wer Gelegenheit hatte, einmal einen guten Tölter zu reiten, der wird kaum wieder davon lassen
wollen. Es läßt sich nicht anders beschreiben, als die Verkörperung von Lebensfreude. Haben Sie schon mal auf einem Paso Fino das Stakkato der wirbelnden Hufe im Paso Corto erlebt? Sind Sie schon mal
im wiegenden Pasollano von einem stolzen Paso Peruano getragen worden? Ist Ihnen im Renntölt schon mal die Mähne eines Isländers ins Gesicht gesprüht? Hat ein Mangalarga Marchador Sie schon jemals
bequem und ausdauernd in der Marcha Picada auf Ihrem Wanderritt begleitet? Sind Sie jemals dem Geschwindigkeitsrausch des Töltenden Trabers erlegen? Seien Sie vorsichtig! Tölten macht süchtig! Das
Hochgefühl, das den Reiter im Tölt & quot;überfällt", ist mit wenig zu vergleichen! Man muß es selbst gekostet haben!
Es ist wohl dieses "Quirlige", Fröhliche, Muntere in Kombination mit dem bequemen Sitzgefühl, das die Faszination dieser "Gangart mehr" ausmacht. Nicht umsonst finden neben den isländischen
Mehrgängern jetzt auch zunehmend andere Gangpferderasssen Anhänger in allen Sparten der Reiterei. Die Wanderreiter, die Sportreiter, die Westernreiter und mehr und mehr Dressurreiter nehmen zugunsten
des 4. Ganges die Gangpferde in ihren Reihen auf. Und das, obwohl sie ihnen das Leben nicht unbedingt leichter machen!
Die Viertaktgangarten - wie wir sie besser nennen sollten, um uns mit dem Begriff Tölt nicht auf bestimmte Rassen zu beschränken bewegen sich zumeist im mittleren Tempobereich (ähnlich wie der Trab), haben dort aber eine sehr viel größere Variationsbreite als der Trab. Ihnen liegt ein komplizierteres Bewegungsmuster zugrunde: der Trab ist ein Zweitakt in vier Phasen, der Tölt und seine Varianten sind ein Viertakt in acht Phasen, der sich je nach Tempo oder Betonung lateraler oder diagonaler Phasen in vielerlei Richtungen verschieben kann. Außerdem werden die Viertaktgangarten mit einer erhöhten Bewegungsfrequenz ausgeführt. Sie haben etwa die doppelte Frequenz des Trabes. Die meisten Viertaktgangarten beinhalten zudem auf Grund ihrer spezifischen Spannungssituation eine von Natur aus recht hohe Aufrichtung. Ein Nicht-Gangpferd hat im mittleren Tempobereich nur die Auswahl Trab: treibt ein Reiter sein Pferd aus dem Schritt an, so wird es zumeist in den Trab fallen. Das ist dann vielleicht kein schöner Trab, aber es ist Trab. Macht ein Gangpferdereiter das Gleiche, kann ihm sein Pferd eine Bandbreite vom reinen Pass, über verschiedene Stufen des Passtöltes zum klaren Tölt, über verschiedene Stufen des Trabtöltes zum reinen Trab inklusive aller Vermischungen, Gangwechsel und der Galopprolle anbieten. Und das muß erstmal alles "sortiert" werden!
Eine vollständige Aufzählung aller Viertakt-Gangarten wäre schwierig. In vielen Ländern rund um die Erde wird "geviertaktet", aber natürlich immer unter anderen Bezeichnungen. Zudem führen
Videoanalysen zu ständig neuen Denkmodellen, die die Sache nicht unbedingt vereinfachen. Was jedoch bei jeder Viertakt-Gangart gleich bleibt, ist die fehlende Sprungphase (deshalb ist es ja so
bequem) und die Fußfolge (Reihenfolge, in der die Hufe auffußen): hinten rechts, vorne rechts, hinten links, vorne links. Alle Viertakt-Varianten haben diese Gemeinsamkeit. Was sich je nach Rasse
oder Gangvariante ändert, ist die Phasenfolge (Reihenfolge der Stützphasen in einer Gangart). Sie ist abhängig vom Tempo oder von der Betonung der lateralen oder diagonalen Stützphasen. Welchen
Viertakt-Gang ein Pferd geht, hängt von den Schwerpunkten der Zucht (genetischen Veranlagung) und der Ausbildung des Pferdes ab. Je nachdem welchen Schwerpunkt der Reiter setzt, Ausdauer,
Bequemlichkeit, Wendigkeit, Schnelligkeit oder Showeffekt, bietet sich dafür eine andere Gangvariante und/oder eine andere Rasse an.
Die Möglichkeit eines Pferdes neben den sogenannten Grundgangarten weitere Gänge zu zeigen, ist von seiner genetischen Veranlagung abhängig. Die Viertakt-Gangarten sind keine erlernten
Bewegungsmuster, sondern ebenso natürlich wie Schritt, Trab oder Galopp. Infolge des zunehmenden Wissensstandes "entdeckt" man in den letzten Jahren immer mehr Rassen mit Viertakt-Gangveranlagung.
Neben den typischen Gangpferden finden sie sich z. B. bei Arabern, Berbern, Connemaras, Andalusiern, Lusitanos, Sorraias, Mustangs, bei vielen osteuropäischen Pferderassen, z.B. Tersker, Kabardiner,
teilweise bei Friesen und Warmblütern.
Als Beispiel einige in Deutschland bekannte Viertakt-Varianten:
Der schnelle Viertakt hat im Vergleich zum mittleren Tempo ausgeprägtere Einbeinstützen. Er heißt beim Aegidienberger, Töltenden Traber, Paso Iberoamericano: Renntölt, beim Amer.
Saddlebr. Horse, Rocky Mountain Horse u. anderen nordamerikanischen Rassen: Rack, beim Paso Fino: Paso Largo
Der langsame Viertakt hat im Vergleich zum mittleren Tempo ausgeprägtere Zweibeinstützen. Er heißt beim Aegidienberger, Töltenden Traber, Paso Iberoamericano: Tölt, beim Amer.
Saddlebr. Horse, Rocky Mountain Horse u. anderen nordamerik. Rassen: Slow Gait, beim Missouri Fox Trotter: Singlefoot, beim Paso Fino: Paso Corto, Classic Fino, beim Paso Peruano: Paso Llano, beim
Mangalarga Marchador, Campolina: Marcha Picada
Der trabverschobene Viertakt hat ausgeprägtere diagonale Zweibeinstützen. Er heißt beim Aegidienberger, Töltenden Traber, Paso Iberoamericano: Trabtölt und ist bei diesen Rassen
züchterisch nicht erwünscht, beim Paso Peruano: Pasi Trote (züchterisch nicht erwünscht), beim südamerikanischen Trochador: Trocha, beim Missouri Fox Trotter: Fox Trot, beim Mangalarga Marchador,
Campolina: Marcha Batida
Der passverschobene Viertakt hat ausgeprägtere laterale Zweibeinstützen. Er heißt beim Aegidienberger, Töltenden Traber, Paso Iberoamericano: Passtölt und ist bei diesen Rassen
züchterisch nicht erwünscht, beim Paso Peruano: Sobreandando, bei verschied. südamerik. Gangpferden: Ambladura oder Andadura, bei verschied. nordamerik. Gangpferden: Stepping Pace
Der Walk ist eine sehr raumgreifende Gangart in Fuß- und Phasenfolge des Schritts. Der Walk ist vergleichbar mit der Sportart der Geher; auch diese beginnen nicht zu laufen, machen
jedoch weitere Schritte. Dadurch ergibt sich ein erhöhtes Tempo, das vom Flat (Foot) Walk bis zum Running Walk reichen kann. Ein Erkennungszeichen für einen guten Walk ist der sogenannte head shake,
head nod, oder auch nodding; ein rhythmisches Kopfnicken, das als Gleichgewichtsausgleich für das weite Übertreten entsteht. Walk ist beim Tennessee Walker, Spotted Saddle Horse und beim Missouri Fox
Trotter züchterisch erwünscht. Teilweise findet er sich auch bei Töltenden Trabern
und anderen Rassen.
Der Rennpass ist der im Renntempo ausgeführte Pass. Er unterscheidet sich vom Tölt und vom fehlerhaften Pass durch eine Sprungphase und vermehrte Streckung im ganzen Körper. Seine
Qualität bemißt sich an Taktreinheit und Geschwindigkeit. Rennpass wird vor allem beim Isländer geritten, aber er kommt teilweise auch beim Aegidienberger, Töltenden Traber und anderen
Gangpferderassen vor.
Verschiedene Viertaktvarianten eignen für verschiedene reiterliche Wünsche. Sehr bequem sind Pferde, die flache, weite oder auch kürzere, hochfrequente Bewegungen machen. Der reine Viertakt und
manche pass-verschobene Variante bieten sich an. Am wenigsten bequem sind trabverschobene Viertakt-Varianten. Auch Pferde mit viel hoch-weiter Bewegung, die viel davon in den Rücken mit
hineinbringen, sind für Reiter, die ein besonders ruhiges Sitzgefühl suchen, nicht die richtigen.
Wer mit seinem Gangpferd Langstrecken, seien es Wander- oder Distanzritte, reiten möchte, ist häufig gut beraten mit einem Pferd, das eine trab-verschobene Variante gehen kann. In ganz Südamerika
sind diese Viertakt-Varianten die typischen Langstreckengangarten, weil sie aufgrund der fehlenden Sprungphase ökonomischer sind als der Trab und zudem viel Trittsicherheit bieten. Wenig ökonomisch
sind hochfrequente und hoch-weite Bewegungen mit ausgeprägten Einbeinstützen.
Wer ein Gangpferd gerne dressurmäßig fördern möchte, sollte eines mit wenig bis keiner Pass-Veranlagung wählen. Gut ist es, wenn es einen sicheren Trab gehen kann, aber auch ein klarer Viertakt birgt
alle Möglichkeiten verschiedene Lektionen, Seitengänge, Übergänge dressurmäßig korrekt und gymnastisch sinnvoll zu reiten.
Die Internationale Gangpferdevereinigung (IGV e.V.) bietet Turnierprüfungen an, die entweder ganz auf eine bestimmte Pferderasse und ihre typische Gangveranlagung zugeschnitten sind oder die
rasseübergreifend gewertet werden. Wer in letzteren starten möchte, ist meist gut beraten, ein Pferd mit hoch-weiten Bewegungen, viel natürlicher Aufrichtung und guter Tempovariabilität zu
wählen.
Pferdegerechtes und pferdeschonendes Gangpferdereiten erfordert viel Sachkenntnis und Einfühlungsvermögen. Ohne andere Formen der Reiterei schmälern zu wollen, gehört gutes Gangpferdereiten mit
Sicherheit zu den anspruchsvollsten Formen der Reiterei. Es ist beileibe nicht so, dass der ach so bequeme Gang und das ach so ausgeglichene Temperament dem Reiter nur wenig Kenntnisse abverlangen.
Ganz im Gegenteil. Auf Grund der Variationsbreite der Viertaktgangarten braucht der Gangpferdereiter ein besonders differenziertes Gefühl für Körperspannungen, sowohl bei ihm selbst als auch bei
seinem Pferd. In Sekundenbruchteilen müssen neue Spannungssituationen hergestellt oder aufgehoben werden, um einen gleichmäßigen Takt (= 1. Stufe der Skala der Ausbildung) zu halten. Der Naturtölter,
-foxtrotter, -walker, -trochador etc., der seinen rassespezifischen Takt ein Leben lang mit minimaler reiterlicher Einwirkung, gesundheitsschonenend hält, ist ein hehres Ausbildungs- und Zuchtziel -
erreicht ist es bisher bei wenigen Pferden. Mit anderen Worten: für den Genuß von Tölt & Co., muß man bereit sein, auch etwas zu tun. So ist es z. B. vergleichsweise schwierig korrekte Biegungen
im Viertakt zu reiten, ohne eine Galopprolle zu produzieren. Das äußere Beinpaar hat in der lateralen Zweibeinstütze in der Biegung einen um die Breite des Pferdes längeren Weg als das innere
Beinpaar. Das Gangpferd und sein Reiter müssen erst lernen, diese "Unwucht" auszugleichen.
Zudem ist im Viertakt die Gefahr leider relativ groß, einen schlecht gearbeiteten Rücken zu übersehen, der nicht genug trägt und mitarbeitet. Denn der Sitzkomfort bleibt häufig auch beim schlecht
gerittenen Gangpferd erhalten. Bei einem Trab gehenden Pferd, das im Rücken nicht schwingt, also nicht gut gymnastiziert wurde, merkt der Reiter sofort, dass es unbequem zu sitzen ist. Das ist im
Viertakt in dieser Form nicht zu merken. Der Reiter eines Gangpferdes muß also genauer auf die Anzeichen achten, dass sein Pferd im Rücken überfordert ist.
Eine Rückenstabiltät im Tölt und seinen Varianten kommt unter den gleichen Voraussetzungen zustande, wie in allen anderen Gangarten. Die Fähigkeit einen Reiter ohne gesundheitliche Schäden zu tragen,
hängt im Wesentlichen davon ab, wie die einzelnen Körperteile des lockeren Pferdes in Relation zueinander gebracht werden: ändert sich der Winkel Hals zu Rücken bzw. Kopf zu Hals und gleichzeitig der
Beckenwinkel, so kommt von vorne und hinten stabilisierende Zugspannung auf den Rücken. Das Pferd kann in der Lende nicht mehr durchsacken, also kein "Hohlkreuz" mehr machen und so
seinen Reiter auch im Viertakt gut tragen.
Der Weg zu dieser Rückenstabilität führt im Viertakt - wie in allen anderen Gangarten auch - über eine durchdachte, gymnastische Ausbildung. An erster Stelle steht die Herstellung eines
gleichmäßigen Taktes. Das Pferd sollte nicht dauernd wechseln zwischen Tölt, Trabtölt, Galopprolle usw., sondern durchgehend den ihm gemäßen Viertakt halten. Dazu muß der Reiter herausfinden, in
welchem Tempo und in welcher Körperhaltung (Gleichgewichtssituation) dem Pferd das Durchhalten des Taktes am leichtesten fällt. Das variiert
von Pferd zu Pferd, abhängig von Gangverteilung und Exterieur. Mit zunehmend stabilerem Takt wird sich das Pferd dann auch im Viertakt loslassen. Natürlich bedingen sich Takt und Losgelassenheit; je
losgelassener das Pferd psychisch und physisch ist, desto eher wird es zu einem gleichmäßigen Takt finden. Und je weiter das Pferd schon in anderen Gangarten ausgebildet ist, desto eher läßt es sich
im Tempo und in einer bestimmten Gleichgewichtssituation festigen. Erst wenn Takt und Losgelassenheit sichergestellt sind, kann an den folgenden Punkten der Skala der Ausbildung, an der Haltung und
der Tempovariabilität gearbeitet werden. Dann sind im Viertakt auch Seitengänge wie Schulterherein oder Traversalen zu erarbeiten.
Erfahrungsgemäß hält man sich beim Gangpferd bereits beim ersten Punkt der Skala der Ausbildung - dem Takt - meist recht lange auf. Taktfehler vielerlei Ursprungs können auftreten, Galopprollen,
Paßverschiebungen, Trabverschiebungen, Austraben, Tribulieren... Da die Korrektur vom Gebäude, vom Temperament und von der genetischen Gangverteilung abhängt, sind die Korrekturmaßnahmen sehr
komplex. Generell gilt, dass je lockerer und beweglicher das Pferd in allen Gangarten gehalten wird, desto positiver wirkt sich dies auch auf den Viertakt aus. Ein Pferd, das nur geradeaus im Tölt
geritten wird, trägt auf Dauer gesundheitliche Schäden davon. Je komplexer das Hilfenverständnis des Pferdes ist, wenn es z. B. gut auf stellende und biegende Zügel- und Schenkelhilfen reagiert,
desto besser wird es sich im Viertakt führen lassen, desto taktsicherer, ökonomischer oder ausdrucksstärker wird es gehen.
Die Vielfalt der Gangpferderassen und der Viertaktvarianten macht die Pferdewelt bunter, interessanter und schöner. Im Sinne des Pferdes fordert sie dem Reiter viel Einsatzbereitschaft und
Lernwilligkeit ab.